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Pers

Eröffnungsansprache Neo Rauch

Bilder Bergen 

Wie birgt man Bilder? Nun, so wie man Menschen birgt, so wie etwa der Barmherzige Samariter den von Strauchdieben ausgeplünderten und halb tot am Wegesrand liegengelassenen Mann barg und versorgte, bis er wieder bei Kräften war, so lassen sich auch Bilder bergen. Man findet Sie, wenn man sie nicht sucht, durchaus am Wegesrand, im Unterholz, im Dickicht und im Schilfland. Sie sind oftmals nur sanfte Anwehungen, Schatten Ihrer selbst, übel zugerichtete Karkassen oder fragile Keimlinge. Voraussetzung für den malerischen Samariterdienst ist neben einer umfassenden Barmherzigkeit eine unbedingte Sensitivität, die auf die feinstofflichen Schwingungen der Hilfsbedürftigen reagiert.

Rosa Loy verfügt ohne Zweifel über diesen eminenten SpÜrsinn, den sie gewiss auch und gerade im Laufe ihre gärtnerischen Parallelexistenz konditioniert und verfeinert hat. Überhaupt lässt  sich ihr Schaffen wohl am umfassendsten vom Gärtnerischen her bergreifen, denn es ist jene Sphäre, mit der Rosa nahezu täglich glückliche und Kraftspendende Vereinigungen durchlebt, und die sie ganz auf sich und das Einssein mit den elementaren Zusammenhängen zurückführt. In diesem nahezu entrückten Zustand kommt es zu Bildauffindungen. Diese gilt ist dann zu bergen und im Atelier zu sich hinzuführen, indem sie mit milchigem Bindemittel und zarten Pigmenten der Leinwand anheimgegeben werden. Auch kommt es vor, dass durch die Nacht irrende Bildahnungen der Versorgung Bedürfen; auch Ihnen lässt sie ihre samariterhafte Zuwendung angedeihen. Seltener erfolgen Bergungen von den Gefechtsfeldern und Unglücksstatten unserer Tage; dieses grobkörnige Geschehen überfordert die Feinjustierung des Loy’schen Sensoriums, und spiegelt sich infolgedessen auf ihren Leinwänden nicht wieder. 

In den 90er Jahren glaubten nicht wenige young curators und Kunstwissentschaftler unter Verwendung des Kampfbegriffes vom Bilderberg das Geschehen in den Mahlerateliers in Schach halten zu müssen. Phonetisch dicht am Bilderbergen angesiedelt, sollte damit indessen auf einen Überflutungszustand hingewiesen werden, der jegliches Fortführen malerischen Tuns der Lächerlichkeit preisgab oder gar kriminalisierte. Als könnte es jemals zu viele Bilder geben! Gemälde wohl, aber Bilder? Sie sind es doch, worauf sich das malerische Unterfangen richten sollte, auf eine IKONISCHE Wirkung von hoher Einbrenntiefe in das Unterbewusstsein des Betrachters, und dies ist es auch, was sie von Gemälden im Allgemeinen unterscheidet. Das Gemälde kann ein fulminant vorgetragenes Irgendwas sein; ohne Verbindlichkeit und von schnellverblassender Faszination. Rosa jedoch malt Bilder!

Ihren Hervorbringungen haftet – wie sollte es auch anders sein – eine geradezu pflanzenhafte Kreatürlichkeit an, denen ihre tiefe Sinnschichtung zu Bedeutung und heilsamer Kraft verhilft. In unserer heillosen Welt, die dem Fassungslosen nirgends Halt und dem Irrläufigen keine Heimstatt für seine wundgelaufenen Sinne zu bieten scheint, wirken diese Leinwände wie lindernde Verbände und trostspendende Zuwendungen von tiefer Zärtlichkeit. 

´Anspruchsvolle’ Sammler stellen mitunter eine Erwartungshaltung zur Schau, die einen masochistischen Zug aufweist, indem sie Kunst nur dort zu erkennen meinen, wo es weh tut. Sei streng zu mir! Verweigere Dich meinem verflixten Schönheitssinn, sei unbequem, sperrig und vor allen Dingen: sei politisch relevant! Mit einem Wort: sei TAGESSCHAU!

Nichts leichter, als diesem Begehren zu entsprechen! Bilden wir doch einfach die Abgründe, Schroffheiten und Brandstätten unserer Tage direkt ab; seien wir brutal und unverschämt, kalt und abweisend oder streng und erziehend!

          

Es ist wahrlich nicht schwer, sich dem Sog all dessen auszuliefern und schliesslich in den Malstrom des Zeitgeistes zu geraten!
Viel schweriger ist es indessen, unter der Last der alltäglichen Zumutungen nicht zusammen zu brechen und stattdessen das Freundliche, Liebenswürdige und Wohltuende auf seinen Leinwänden aufscheinen zu lassen. Es bedarf einer inneren Standfestigkeit, die sich aus einer wohljustierten Mittellage ergibt, ebenso wie der Tapferkeit, sich gelegentlich dem Vorwurf der Anspruchslosigkeit ausgesetzt sehen zu müssen. Rosa Loy verfügt zweifellos über diese Tugenden und beschenkt uns daher mit hinreissenden Liebenswürdigkeiten von grosser suggestiver Eigentümlichkeit. 

Von den Wänden meines Zufluchtsortes herab erfahre ich sehr wohl, was es heisst, Trost und Zuspruch vermittelt zu bekommen wenn man dessen bedarf. Stets fühle ich mich von Rosa’s Geschöpfen freundlich umfangen, beschützt und genährt. Diese kleinen Leinwandgespinste entfalten eine wohltuende Wirkung auf das Gemüt und Rühren unmittelbar an. Dem ´anspruchsvollen’ Sammler bleiben sie verschlossen, weil er sich ihnen verschlossen hat; er will leiden und sucht keine Heilung! Er will die harte Realität und nicht den Zauber des Moments. Dies alles freilich auf goldenem Boden; in exceptionellen Behausungen mit hohem Komfort. Also in der Regel eine attitüdenhafte Situation, denn wer, in einer depressiven Lage das dargereichte Hilfsmittel ausschlägt ist entweder volkommen Stabil oder im Selbstzerstörungsrausch. Es gibt schöne Seelen, die inmitten des grossstädtischen Lärms und Schmutzes auf den winzigen Flächen, die um die Strassenbäume herum unbetoniert geblieben sind, kleine Gärten anlegen. Diesen Naturen fühlt sich Rosa verwandt. Ihre Bilder sind diese Gärtchen; wohl denen, die sich eines sichern konnten, denn Sie reichen den Impuls der Barmherzigkeit, dem sie ihre Existenz verdanken, unmittelbar weiter an die, die sich ihnen zuwenden und öffnen.

Sie sind ein Beitrag zur Wiederverzauberung der Welt!

Neo Rauch

Eröffnungsansprache  Ausstellung Rosa Loy - Bilder Bergen
23. September 2017
Drents Museum, Assen

Von links nach rechts: Harry Tupan, Toos Arends, Rosa Loy, Neo Rauch